Tosca: Kleines Theater – großes Werk
Wieder einmal gibt es seit dem 20. Januar 2019 so ungefähr einmal in der Woche vier Tote am Winterstein-Theater. Was ist passiert?
Tosca, eine um 1800 bekannte Sopranistin an der römischen Oper liebt den Maler Cavaradossi, dessen Porträt- (und Akt)bilder zur jener Zeit berühmt waren. Und er liebt die Dame auch, so dass er beim Malen gern seine Tenorstimme erklingen lässt.
Angelotti, ein ehemaliger Konsul und Freund unseres Pinselschwingers, ist soeben dem Gefängnis auf der Engelsburg entflohen (warum er dort einsaß, ist nicht genau bekannt). Er schleicht sich nun in die Kirche, wo er sich zunächst versteckt, denn von draußen meldet sich glockenhell Toscas Sopran, dem sie sogleich auch persönlich folgt und kurz darauf dem Gemäldemaler eine theatergemäße Szene macht. Denn auf dem Bildnis, an dem Cavaradossi pinselt, erkennt sie die Gräfin Attavanti. Eifersüchtig glaubt sie an ein Techtelmechtel ihres Maler-Freundes mit der Dame auf dem Bild. Cavaradossi beruhigt Tosca soweit, in der er ihr mindestens 100 Mal versichert, dass er nur sie liebt und sie stürmisch und langanhaltend umarmt.
Als sie endlich abgeschwirrt ist, nicht ohne sich für den Abend zu verabreden, erscheint Angelotti wieder aus seinem Versteck. Unser Maler-Tenor übergibt ihm einen Picknickkorb mit allerlei leckeren Sachen und schickt den entflohenen Sträfling zu sich nach Hause. Dort soll er sich verstecken.
Und schon kommt der Küster, der Knaben, Mönche und den Extrachor herbeiruft, weil Napoleon vernichtend geschlagen wurde (was sich später als Fake-News herausstellt), und diese Nachricht wird mit einer öffentlichen Probe feierlich begangen. Und genau da platzt der finstere Polizeipräsident Scarpia Bariton singend in die feierliche Stimmung. Er hat vom entkommenen Sträfling Angelotti erfahren und vermutet ihn bei dessen Freund Caravadossi in der Kirche. Die Leute von der Spurensicherung finden auch einige kompromittierende Sachen, die den Verdacht bestätigen. Also ist der Kirchenmaler ein Fluchthelfer.
Nun platzt auch noch Tosca in die Szene, weil sie ihrem Freund mitteilen will, dass sie am Abend keine Zeit für die Liebe hat, sie muss beim finsteren Scarpia auf der Sieges-Feier singen. Und der will mehr von Tosca als einige Puccini-Arien, der will ein Schäferstündchen …
Vorhang – Pause
Nach einer stärkenden Pause begeben wir uns ins Arbeitszimmer vom Scarpia, dem bösen Polizeichef. Der wartet bei einem bzw. mehreren Gläschen Rotwein auf seine bestellte Tosca und freut sich, seinem Widersacher Cavaradossi die Freundin auszuspannen. Dazu singt er kraftvoll und mit Leidenschaft.
Da erscheint Spoletta auf der Bildfläche bzw. Bühne bzw. Arbeitszimmer, um mitzuteilen, dass Angelotti spurlos verschwunden ist. Aber sicher weiß Cavaradossi, wo sich der Flüchtling aufhält. Also her mit dem Kunstmaler.
Der wird gefesselt herbeigebracht. Verständlicherweise protestiert er heftig und behauptet, dass er keine Ahnung habe, wo sich sein Freund aufhält (was er natürlich aber weiß).
Als alle Drohungen durch Scarpia nichts nützen, lässt er einen Richter und zwei Henkersknechte holen.
Doch da kommt Tosca in das Zimmer, schwebt auf ihren Maler-Geliebten zu, umarmt ihn, während er ihr zuflüstert, nicht das Brunnenversteck von Angelotti zu verraten. Wohl versteht das Publikum die Botschaft, zum Glück aber nicht Scarpia. Darum bittet er Cavaradossi in die Folterkammer. Praktischerweise ist der Raum gleich nebenan, so dass Scarpia, Tosca und das Publikum die tenorhaften Schreie recht gut hören können.
Mehrfach fragt der Widerling Scarpia im schmeichelhaften aber bestimmenden Ton Tosca, ob sie das Versteck Angelottis vielleicht verraten würde. Zwar verneint sie immer wieder, aber als der Sadist dem Cavaradossi durch sein Folterfachpersonal noch mehr Gewalt, Qualen und Schmerz zufügen lässt, nennt Tosca schließlich das Versteck.
Während Scarpias Assistenten nach dem Flüchtling suchen, wird Cavaradossi schließlich aus der Folterstube gebracht. Und als er dabei zufällig von einem Mitarbeiter des Polizeichefs hört, dass nicht die Österreicher gegen Napoleon gewonnen habe, sondern umgekehrt, jubelt er trotz Folterschmerzen nicht nur, sondern wünscht Scarpia sonst wo hin.
Das kann der sich natürlich nicht bieten lassen und schickt den Gefangenen in den Kerker. Morgen früh soll er hingerichtet werden.
Nun ist Scarpia mit Tosca allein. Die Sängerin überlegt fieberhaft, wie sie ihren Geliebten retten kann, vielleicht mit Geld …? Aber Scarpia lässt sich nicht darauf ein. Möglicherweise würde er Cavaradossi freilassen, aber nur, wenn Tosca eine Liebesnacht im warmen Bett des Polizeipräsidenten verbringen würde. Das gefällt Tosca überhaupt nicht.
Da kommt Spoletta, der Spurensucher, unangemeldet ins Zimmer, um zu melden, dass der flüchtige Angelotti selbst seinem Leben ein Ende gesetzt hat.
Scarpia nimmt das zur Kenntnis und beauftragt Spoletta, die Hinrichtung von Cavaradossi vorzubereiten. Nach dieser indirekten Erpressung sagt Tosca – tonlos – aber mit Gesang dem Schäferstündchen zu. Und fordert einen Passagierschein für Cavaradossi und für sich, den er schließlich zähneknirschend ausschreibt.
Außerdem hat er inzwischen seinem Helfer Spoletta den Auftrag gegeben, Cavaradossi mit Platzpatronen zu beschießen. Dabei zwinkert er dem Assistenten verdächtig zu.
Als das alles erledigt ist – Erschießungsauftrag und Passagierschein – widmet sich Scarpia wieder seinem weiblichen Gast, in dem er auf Tosca mit ausgebreiteten Armen zuläuft und dabei übersieht, dass die Sängerin einen Brieföffner oder ist es ein Apfelschälmesser? in den Händen hält und es mit aller Kraft zweckentfremdend in Scarpias Brust versenkt. Aus vorbei mit dem Tyrannen.
Schnell noch den Passagierschein mitnehmen. Und so verlässt Tosca die Mörderstube.
Vorhang – keine Pause
Nun wird es noch trauriger. Wir sind auf der Engelsburg. Dort wird in wenigen Augenblicken Cavaradossi scheinhingerichtet. Das weiß er aber noch nicht. Deshalb schreibt er seiner Tosca noch schnell eine Ansichtskarte mit freundlichen Grüßen. Dazu singt er tenorhaft und herzergreifend das schöne Lied: „E lucevan le stelle“. Damit das Publikum es versteht, singt er den Ohrwurm auf deutsch: „Und es leucht(et)en die Sterne“.
Inzwischen hat Tosca die Engelsburgs erklommen. Sie flüstert ihrem Geliebten zu, dass er nur pro forma erschossen wird (im Theater gibt es sowieso keine scharfen Waffen). Er soll nur so tun, als ob es ihn erwischt hat. Dann fliehen sie zusammen. Schließlich hat sie ja noch den Passierschein.
Dann tritt sie zur Seite, damit das Kommando besser schießen kann, was es auf Befehl auch macht. Cavaradossi bricht wie vereinbart theatralisch zusammen.
Als Tosca auf ihren eben noch lebenden Geliebten zugeht, merkt sie schließlich, dass doch scharf geschossen wurde. Cavaradossi ist mausetot.
Tosca ist schockiert über das betrügerische Vorgehen von Spoletta, und der wiederum hat wahrscheinlich durch Fingerabdrücke und DNA-Analyse mitbekommen, dass die Sängerin seinen Chef ins Jenseits befördert hat. Bevor Spoletta reagieren kann, springt Tosca von der Mauer der Engelsburg selbst in den Tod – Aber nicht so in Annaberg. Da nutzt sie das noch wartende Erschießungskommando und läuft mit letzter Kraft ins Messer bzw. in zwei bereitstehende Bajonette. Das vierte Todesopfer.
Vorhang.
Und warum das alles? Weil sich eine Sopranistin in einen Tenor verliebt hat (und umgekehrt). Ein vermeidbares Wagnis …
Inszeniert wurde „Tosca“ von einem Regie-Altmeister in Sachen Oper, Operette, Musical – Rainer Wenke. Seine Sichtweise fokussiert sich besonders auf den mächtigen Polizeichef Scarpia. In dessen Welt zeigt sich eine autoritäre Diktatur mit Erbarmungslosigkeit und Brutalität, in der kein Platz für Freiheit ist … wobei sich dennoch ein klein wenig Hoffnung zeigt.
Das Bühnenbild von Ausstattungsleiter Martin Scherm ist nicht nur schön, sondern zweckmäßig und betont zurückhaltend. Alle drei unterschiedlichen Akte unterstützen so auf ihre Weise die dramatische Handlung. Die Kostüme deuten darauf hin, dass die Oper in die Zeit des aufkommenden Faschismus adaptiert wurde.
Musikalisch ist es ein äußerst nachhaltiges Opern-Erlebnis. Die Musik ist generell außergewöhnlich. Und das nutzt GMD Naoshi Takahashi mit der Erzgebirgischen Philharmonie. Er bringt das Orchester dazu, die Musik mal radikal und heftig, dann wieder ruhig und ergreifend erklingen zu lassen – und alles im italienischen Glanz. Das ist ein Genuss – wie auch die gesamte Ensemble-Leistung.
Bettina Grothkopf ist eine brillante Tosca. Mit großer Stimme zeichnet sie mühelos die notwendige Bandbreite von voller Empörung bis zarter Empfindung, z.B. bei der Eifersucht auf die Bilder-Schönheit im ersten Akt … oder der Liebe zu Cavaradossi – als sie versucht, den Maler zu retten (2. Akt) …
Rührend und emotional präsentiert sich auch Jason Lee als Cavaradossi. Der Tenor ist hier in seiner ersten großen Partie nach dem Wechsel aus dem Chor- ins Solistenfach zu erleben. Besonders in den ruhigeren Phasen singt er ergreifend schön.
Jason-Nandor Tomory hat schon viele Rollen am Haus und auf den Greifensteinen gesungen. Die Darstellung des Scarpia ist aber ein Meisterstück. Mit seinem kräftigen Bariton durchdringt er die Partie und vermittelt ebenso durch sein Spiel die Gefährlichkeit des rücksichtslosen Widerlings, der böse, aber auch leidenschaftlich ist.
Großartig auch die gesamte Leistung der weiteren Solisten sowie von Chor, Kinderchor, Extrachor, Chorvereinigung Coruso in einer Einstudierung von Jens Olaf Buhrow. Mit Präzision und Wohlklang sorgt auch dieses Ensemble für ein gefühlvolles Theatererlebnis.
Manfred Riesche
Fotos: Christian Dageförde/BUR-Werbung