Annaberg, Buchholz und seine Nachtwächter

Warum vor 140 Jahren plötzlich alles anders wurde

Wenn „Hört, Ihr Leute, lasst euch sagen…“ durch die Annaberger Gassen hallt, dann weiß jeder Bürger und Gast, dass die Nachtwächter wieder auf Tour sind. Hinter den Nachtwächtern verbergen sich Rainer Eckel und Dieter Frank, welche sowohl Einheimische als auch Touristen durch die Altstadt und an so manch unbekanntes Fleckchen führen.

Seit über 20 Jahren sind die beiden nun schon unterwegs. Jede Ecke der Altstadt und die passende Geschichte dazu ist ihnen wohlbekannt. Zwei Originale, die aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Auf dem Streifzug durch die Gassen hin zum Klosterkeller erfahren die Teilnehmer Interessantes, Lustiges, Nachdenkliches und Eigenartiges zur Stadtgeschichte.

Doch was jetzt mehr dem Spaß und der Information sowie Wissensvermittlung dient, war früher ein richtiger Beruf. In Annaberg gab es aufgrund der Einteilung in Stadtvierteln auch vier Berufsnachtwächter. Die erste aktenkundige Erfassung, welche unseren heutigen Nachtwächtern vorliegt, stammt von 1691.

Die Wächter der Nacht mussten in vergangenen Zeiten verschiedene Aufgaben übernehmen. So waren sie in den Wirtshäusern oftmals zu finden, jedoch nicht als Gast, sondern um genau diesen an die Schließzeiten zu erinnern und gegebenenfalls den Alkohol Frönenden ein Geleit nach Hause zu geben. Für Ruhe und Ordnung sollten sie stets sorgen, kontrollieren, ob die Haustüren verschlossen sind und falls nicht den Hausherren darauf aufmerksam machen. Des Weiteren waren sie aber auch für das Wecken der Bediensteten und Gewerbetreibenden zuständig.

Auch damals gab es schon Schichtarbeit, wie die alten Aufzeichnungen zeigen. Für täglich acht Stunden waren die Wächter im Einsatz und dabei als „Leisewächter“, der ohne sein Signalhorn unterwegs war oder als „Lautwächter“ unterwegs.

Das Horn diente zur Alarmierung der Bürger bei nächtlicher Gefahr, wie durch zum Beispiel einen Brand. Außerdem trugen die Nachtwächter eine Hellebarde, welche zugleich Waffe, Werkzeug und Symbol ihrer Stellung als Ordnungshüter war. Es handelt sich um auf einen Spieß aufgesetztes Beil – eine Stangenwaffe. Nicht zu vergessen ist natürlich auch die Laterne des Wächters, mit der wahrlich oftmals Licht ins Dunkle gebracht wurde.

In der Nacht, sagt beziehungsweise singt der Nachtwächter die vollen Stunden an. Traditionell tut er das in der Form des Gesangs: „Hört, ihr Leut und lasst euch sagen, die Glock am Turm hat Neun geschlagen …“ Die aus einem Choral von 1603 stammende Melodie wurde zu einem Lied, was mehr ist wie eine reine Zeitansage. Jeder Stundengesang hat einen eigenen Inhalt und hält die Bürger mit jeder Strophe zur Redlichkeit und christlichem Lebenswandel an. Überlieferungen zur Folge meinten wohl damals böse Zungen, dass die wichtigste Aufgabe des Gesangs darin besteht, zu überprüfen, ob der Nachtwächter tatsächlich munter auf seinem Posten ist, nach dem Rechten schaut und seine Dienste verrichtet, oder ob er etwa in einer stillen Ecke ein Schläfchen hält.

Ein gut bezahlter Job war es jedoch nicht, von Nachtzuschlägen ebenfalls weit gefehlt. So verdienten die länger im Dienst stehenden Wächter 6 Taler und die später Dazugekommenen 5 Taler im Monat um 1860, nach Einführung der Währungsreform dann 27 Mark.

Nach einigem Hin und Her mit den Distrikten, der Verdopplung der Nachtwächter und sich häufenden Verweisen wurde durch den damaligen Stadtrat(h) 1882, also vor 140 Jahren, allen Nachtwächtern in Annaberg die Kündigung ausgesprochen. Es wurde beschlossen, die Nachtwache den angestellten Polizeidienern zu übertragen.

Im Stadtteil Buchholz findet man den aktenkundigen Nachweis über die Ordnungshüter nur ab 1855. 1898 wurde dem Nachtwächter auch hier vom Rat gekündigt.

Lange Zeit war es dann still um die Hüter der Nacht, bis in den 1970-iger Jahren die Nachtwächterei als touristisches Angebot wieder mehr und mehr aufkam. So wurde 1987 die Europäische Nachtwächter- und Türmerzunft gegründet. Die Zunft zählt bis heute rund 170 Nachtwächter- und Türmer aus neun europäischen Ländern. Diese treffen sich jährlich an immer wieder neuen Orten und Ländern zum Austausch.

 

Doch wie kam Annaberg letztendlich zu ihren Nachtwächtern Eckel und Frank? Die Antwort ist ganz einfach: „Aus einer Laune und den Planungen zur 500-Jahr-Feier des Stadtteiles Buchholz heraus“, meint Rainer Eckel im Gespräch lachend.

Ein geselliger Abend und mit Laterne auf dem Heimweg sollte die Geburtsstunde der heutigen Nachtwächter von Annaberg und Buchholz werden.

Mit dieser Aktion kam die Idee auf, die Nachtwächter als historische Figuren bis und während des Jubiläumsfestes wieder aufleben zu lassen. Der damalige Marketingleiter Eckhard Tanzhaus der Stadtverwaltung war hellauf begeistert und schickte beide gleich zur Schneiderin für die traditionellen Gewänder. Doch was 2001 nach Weihnachten und Ende des Festjahres mit der Rückgabe der Kleidung ebenfalls beendet werden sollte, währt zum Glück bis heute fort.

Tanzhaus, die damalige Oberbürgermeisterin Barbara Klepsch sowie die Bürgerschaft wollten die „Buchholzer“ Nachtwächter nicht mehr hergeben. So gaben sie sich der bis dato bereits lieb gewonnenen Aufgabe hin, vertieften die Geschichte und Geschichten und ziehen seither an jedem letzten Freitag im Monat oder zu besonderen Anlässen in ihrer rund zweistündigen Tour durch die Altstadt. Auch die Sondertouren durch Buchholz‘ bergauf-bergab haben sich fest etabliert und sind sehr gut besucht.

Wer die Originale gern live erleben möchte, kann sich gern für geplante Touren in der Annaberger Tourist-Information melden.

Eine Termin- und Themenübersicht gibt es unter https://www.annaberg-buchholz.de/de/oeffentliche_stadtfuehrungen.php.

 

Die Reservierung ist telefonisch unter 03733 19433 oder per E-Mail (tourist-info@annaberg-buchholz.de) möglich. Für nur 8,00 Euro pro Erwachsenen, Kinder von 6-18 Jahren für je 6,00 Euro oder als Familie (2 Erwachsene + Kinder) für 21,00 Euro kann man den Nachtwächtern folgen.

Annett Flämig, Stadt Annaberg-Buchholz

Foto: Jens Lötzsch