Die Reise zum Mond

Auf der Suche nach Herrn Sumsemanns sechsten Beinchen

Das Weihnachtsmärchen der diesjährigen Spielzeit am Annaberger Theater beruhte auf einem Klassiker: „Peterchens Mondfahrt“ – nach dem Kinderbuch von Gerdt von Bassewitz. Die Chefdramaturgin des Hauses, Annelen Hasselwander, hat eine unterhaltsam-poetische Abenteuergeschichte verfasst, die Spannung und Spaß gleichermaßen vereint.

Dem Maikäfer Sumsemann fehlt das sechste Beinchen. Vor Generationen war es wahrscheinlich von einem Holzdieb abgerissen und durch widrige Umstände auf den Mond gelangt. Bereits die Vorfahren von Herrn Sumsemann versuchten vergeblich zwei artige, tierliebe Kinder zu finden, die helfen, das sechste Beinchen vom Mond zurückzuholen.

Aber dieses Mal hat der Maikäfer Glück und findet in Peterchen und Anneliese zwei Kinder, die nicht nur Verständnis und Mitleid aufbringen, sondern Herrn Sumsemann helfen wollen. Auf ihrem abenteuerlichen Weg zum Mond, vorbei an Sternen, treffen sie das Sandmännchen, die Nachtfee, den Donnermann, die Blitzhexe …

Als sie endlich auf dem Mond ankommen, begegnen sie dem furchteinflößenden Mondmann. Der ist nicht gewillt, das sechste Beinchen herauszugeben. Aber gemeinsam mit den Naturgeistern gelingt es Anneliese und Peterchen schließlich den Mondmann zu besiegen und Herrn Sumsemann das Beinchen zurückzugeben.

Rechtzeitig bei Sonnenaufgang sind die drei Abenteurer wieder auf der Erde…

Natürlich mussten gegenüber dem Buchklassiker für die Bühnenfassung zahlreiche Szenen gestrichen werden (Windliese und Sturmriese, Hagelhans und Frau Holle …), doch es wurden die wesentlichen Szenen poesievoll zusammengefügt. Die prächtigen disneyartigen Kostüme und das bezaubernde Bühnenbild von Ausstattungsleiter Martin Scherm, die vielfältigen Licht-, Ton- und Knalleffekte (Enrico Beck/Florian Müller) sorgten für eine stimmungsvolle Atmosphäre.

Dazu zeigte das Ensemble Spielfreude und Typenvielfalt – die mit kindlichem Charme aufspielenden Hauptdarsteller Maurice Daniel Ernst als Peterchen und Isa Etienne Flaccus als Anneliese, Philipp Adam als liebenswürdiger geigenspielender und gelegentlich unbeholfener Maikäfer Sumsemann.

Marie-Louise von Gottberg war gleich dreifach präsent, als liebevolle Mutter ebenso wie als gute Nachtfee und als elektrisierende Blitzhexe. … Udo Prucha und Matthias Stephan Hildebrandt alternierend als väterlicher Sandmann und als Hammer schwingender Donnermann. Und neben dem Milchstraßenmann verkörperte Nick Körber auch den böse-finsteren Mondmann.

Alles märchenhaft inszeniert von Andreas Ingenhaag, eigentlich spannend, lustig und zauberhaft. Eigentlich! Denn bei der Szene auf dem Mond benimmt sich der fiese, bösartige, giftende Mondmann nicht nur Anneliese, Peterchen und Herrn Sumsemann gegenüber äußerst dämonisch, sondern auch den jungen Zuschauern im Saal. So tobte, wütete und schäumte der Widerling bis in die ersten Besucherreihen. Was bei den Erwachsenen vielleicht noch ein Schmunzeln auslöste, war für die Fünf-, Sechs- und Siebenjährigen mehr als ein Grusel. Erschreckt und weinend verließen einige Kinder die Vorstellung. Sicher gibt es im Märchen neben den guten auch die bösen Figuren (Rotkäppchen – Wolf oder Hänsel und Gretel – Hexe usw.). Aber wie in der Annaberger Inszenierung die Kinder verängstigt wurden, geht nicht. Denn, wenn die Kleinen beim Verlassen des Hauses sagen: „In das Theater gehe ich nie mehr“, dann sollte das zu denken geben. Und beim nächsten Kindermärchen etwas weniger Gewalt, dafür mehr Respekt vor den kleinsten Zuschauern.

Manfred Riesche

 Foto: Dirk Rückschloß